Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande

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Bühne/Theater

Groß ist die Hoffnung, als nach dem Krieg die Karten neu gemischt werden. „Junkerland in Bauernhand“ ist nur eine der Parolen, mit denen der Anbruch einer neuen Zeit beschworen wird. Die „Bodenreform“ ist Hoffnung für zahlreiche Kleinbauern, ehemalige Melker, Knechte und für all die Vertriebenen, Entwurzelten, Umsiedler des Krieges, die sich nun eine eigene Existenz aufbauen können. Doch mit der Neuverteilung des Landes entstehen auch neue Probleme — so reicht die Zuteilung kaum aus, die Familien zu ernähren, auch sind Pferde oder gar Traktoren für die Bestellung der Felder rares Gut. So setzen sich auch in der „neuen Zeit“ Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse fort, und das durchaus geplant und kalkuliert. Mittendrin Beutler, der als Bürgermeister eines kleinen Ortes die Zuteilung der Ländereien zu organisieren hat und dabei immer auch auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist — sowie Flint: Gesandter der Partei, der mit Versprechungen die Dorfbewohner bei der Stange zu halten versucht.

Zurechtfinden in dem Kreislauf von Um- und Neuverteilung muss sich auch Niet, die titelgebende „Umsiedlerin“: Ohne Verbindungen an einem neuen Ort gestrandet, von den Dorfbewohnern an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, schlägt sie sich mit Zähigkeit und Pragmatismus durch, bis es ihr gelingt, sich einen eigenen Platz zu erkämpfen.
Das Ende des Stücks, ein neuer Anfang: Gerade erst sind die Verwerfungen der Bodenreform verdaut, da sehen sich die Landwirte einem neuen politischen Plan gegenüber. Die Kollektivierung der Landwirtschaft soll aus den vierschrötigen und widerspenstigen Bauern Angestellte der LPG machen — mit Urlaubs- und Freizeitanspruch, doch ohne die Unabhängigkeit des eigenen Stücks Land.

Heiner Müller schreibt „Die Umsiedlerin“ in den Jahren 1960 und 1961 — als ein junger Schriftsteller in einem jungen Land öffnet er im Blick auf die Umwälzungen in der Landwirtschaft eine allgemeine Perspektive in Richtung der Fragen, die sich stellen angesichts des kühnen Projekts, mit dem Menschenmaterial einer alten Zeit eine neuartige Gesellschaft mit einem neuen Menschenbild aufzubauen. Den Funktionären dieses Projekts, der politischen Führung der DDR, gingen Müllers Fragen zu tief — noch am Abend der Uraufführungspremiere am 30. September 1961 wurden nicht nur alle weiteren Aufführungen der Produktion verboten; auch wurden Heiner Müller und der Regisseur B. K. Tragelehn aus dem Schriftstellerverband bzw. der Partei ausgeschlossen. Müller wurde in den Folgejahren radikal isoliert, Tragelehn gar zur Strafarbeit in den Bergbau geschickt. Erst Jahre später konnte das Stück unter dem Titel „Die Bauern“ in geänderter Fassung wieder gespielt werden.

Weiter Infos: www.schauspiel-leipzig.de

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Donnerstag, den 24.04.2025

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